Die „Alte Dame“ Hertha: Arm, Unsexy, Pflegebedürftig


Viel wurde in der letzten Zeit spekuliert. Aber nun ist es wohl traurige Gewissheit nach diesem völlig unnötigen Abstieg in die Zweitklassigkeit: Hertha BSC ist am Boden. Sportlich und vor allem finanziell. Der Fokus in den letzten Tagen lag klar und deutlich auf einem Erfolg im Relegationsspiel gegen Fortuna Düsseldorf. Bei Klassenerhalt wäre der Hauptstadtklub dem Tod noch einmal von der Schippe gesprungen. Nun gibt es einen Niedergang ungeheuerlichen Ausmaßes. Mitverantwortlich für dieses Dilemma ist Manager Michael Preetz, der durch falsche Personalentscheidungen viel Geld pulverisiert hat. Die bittere Konsequenz ist für die gesamte Bundesrepublik, dass Berlin die einzige europäische Hauptstadt ist, in der es zukünftig keinen Erstliga-Fußball zu sehen geben wird.

Sportlich muss man der Hertha ohne Zweifel nach dem unglücklichen Ausscheiden ein Kompliment machen. Nach einem tollen Kampf in Unterzahl gegen die von ihrem frenetischen Publikum angefeuerten Düsseldorfer war das 2:2 Unentschieden ein Beweis, dass doch großes Potential und vor allem Moral in dieser Mannschaft steckt. Einmal mehr wurde deutlich, dass die fußballerische Klasse ohne Frage ausgereicht hätte. Dies hat nicht nur die gute Hinrunde bewiesen, als auswärts gegen Mannschaften wie Wolfsburg, Bremen und vor allem Dortmund tolle Leistungen absolviert wurden. Letztlich fehlte aber die Charakterfrage bei dem einen oder anderen. Dass personell schlechter besetzte Mannschaften wie Freiburg und Augsburg durch mannschaftliche Geschlossenheit und taktische Disziplin den Berlinern in allen Belangen überlegen gewesen sind und letztlich einen verdienten Klassenerhalt feiern durften, mag wie eine Ohrfeige für die treuen wie leidensfähigen Hertha-Fans erscheinen.
Auch im gestrigen Duell bei Fortuna Düsseldorf hatte Altmeister Otto Rehhagel die Seinigen perfekt eingestellt. Die Moral war da. Hertha bestimmte über weite Strecken das Spiel. Besonders die Tatsache, dass das Blitzgegentor nach 30 Sekunden so gut verarbeitet wurde, spricht eindeutig für die Motivationsfähigkeit des erfahrenen Trainers Rehhagel. Vor allem Ramos und die beiden Brüder Raffael und Ronny sorgten mit ihrer großen individuellen Klasse ständig für Gefahr vor dem Tor der Gastgeber. Mit mehr Kaltschnäuzigkeiten hätten die Herthaner einen verdienten Sieg mit in die Hauptstadt nehmen können. So bleibt aber vor allem ein Skandalspiel im Gedächtnis, dass durch ein wahres Arsenal an Leuchtmunition und Pyrotechnik geprägt war. Ein Ausdruck der kollektiven Unzufriedenheit der BSC-Fans, die ihr Team besonders auswärts stimmgewaltig und begeisterungsfähig unterstützt haben.
Nun bleiben vielen Beobachtern noch die Partien gegen Kaiserslautern, Bayern, Stuttgart oder Düsseldorf in Erinnerung, wo die fußballerisch so talentierte Mannschaft ihr hässliches Gesicht gezeigt hat. Das Grausame an der gesamten Situation war, dass ähnlich wie bei den Mitabsteigern Kaiserslautern und Köln die Probleme hausgemacht gewesen sind. Die Entlassung von Aufstiegstrainer Markus Babbel war fatal. Seither gab es kein Konzept. Die kurze und erfolglose Zusammenarbeit mit Michael Skibbe war der erste Fehler, die Rückholaktion, des sich im fußballerischen Ruhestand befindlichen Otto Rehhagel die zweite. Letztlich ist der Abstieg zu einem großen Teil auch Michael Preetz zuzuschreiben, der aus persönlicher Eitelkeit und zuviel Stolz den rasanten Niedergang des Traditionsvereins enorm beschleunigte. Alles andere als eine Entlassung des ehemaligen Goalgetters der Berliner, der in seiner zweiten Karriere seine Treffsicherheit in vielerlei Hinsicht völlig verloren hat, wäre eine große Überraschung.
Vielleicht wollte die so stolze „Alte Dame“, die wegen ihrer Sturheit und fehlender Selbstkritik ihren Namen alle Ehre macht, mit den falschen Mitteln zum Erfolg kommen. Abstiegskampf heißt vor allem Grätsche, Einsatz und vor allem Kämpfen. Tugenden, die bei Hertha häufig vermisst wurden. Charakter und Einstellung wurden schmerzlich vermisst. Auch ein Grund dafür, dass die wichtigen Heimspiele gegen Hoffenheim und gegen Fortuna Düsseldorf nicht ausverkauft gewesen sind. Ein unfassbares Faktum, wenn man sich vor Augen führt, welch große Bedeutung die beiden Matches für den Verein gehabt haben. Letztlich war die große Stärke der Hertha, dass die Konkurrenz aus
Köln und Kaiserslautern noch schwächer daherkam und deshalb die Hoffnungsspiele gegen fußballerisch ebenfalls defizitären Düsseldorfern erst ermöglichte.
Es ist ein wahres Gräuel, was mit der Hertha passiert, wenn man sich nur die anderen Sportarten in der Hauptstadt anschaut. Ob in der O2 World oder auch in der Schmeling Halle. Die Albatrosse, Füchse, Eisbären oder auch Volleys zeigen mit Hingabe und Leidenschaft, was möglich ist. Vor allem, dass die Fans das Team puschen können, wenn die Primärtugenden auf dem Spielfeld sichtbar werden. Es scheint, als ob sich die Hertha nach dem überzeugenden Aufstieg ein wenig ausgeruht hat. Viele Kampagnen, wie auch die erhöhte Identifikation der Hertha mit Berlin als Stadt waren im Anfangsstadium, liefen gut an. Die Abstiegssaison ließ jedoch alles mühsam Erarbeitete wie ein Kartenhaus zusammenstürzen. Die Fans müssen wieder neu begeistert werden. Die Frage bleibt nur, wie das passieren soll, wenn die Mannschaft auseinander fällt.
Die Mannschaft kann man nicht so richtig verstehen, wenn man zu Hause gegen den abgeschlagenen Letzten aus Kaiserslautern verliert und beim alten und neuen Deutschen Meister Borussia Dortmund gewinnt. Die Frage muss erlaubt sein, wie der Charakter solch einer Mannschaft wohl aussehen mag, die ihr Potential viel zu selten abgerufen hat. Baumeister dieses labilen Konstrukts ist Michael Preetz, der für die Zusammenstellung dieser Mannschaft verantwortlich ist und sich nun Gedanken machen muss, wie es denn wohl weitergehen mag. Für ihn wohl nicht bei der Hertha. Die unwürdige Schlammschlacht mit Babbel war peinlich. Seine merkwürdige wie einsame Entscheidung für Skibbe löst noch heute kollektives Kopfschütteln aus. Verletzte Eitelkeit war bei Preetz im Spiel, die auf dem Rücken eines gesamten Vereins ausgetragen hat. Ein Egoismus, der ihn vielleicht aus einer führenden Position im Profi-Fußball bis auf Weiteres verbannt hat. Schuld ist er diesmal jedoch selbst.
Was in diesen Stunden der Trauer ein wenig verwundert, ist die Tatsache, dass Hertha-Boss Werner Gegenbauer die Zukunft mit Preetz plant. Er möchte unbedingt am Manager festhalten, weil er Kontinuität haben möchte. Wenn er damit die Kontinuität eines sportlichen und wirtschaftlichen Niedergangs haben möchte, dann ist er beim 44-Jährigen gebürtigen Düsseldorfer an der richtigen Adresse.
Die Bilanz ist erschreckend. So wurden in seiner dreijährigen Amtszeit schon fünf Trainer benötigt. Die Gehälter und Abfindungen musste der klamme Verein stets zahlen. Diese Saison war er der hauptverantwortliche, dass die Boulevardjournalisten Freudentränen in die Augen bekamen, wenn mal wieder ein neuer Skandal aus dem Hertha-Lager publik wurde. Auch die Umfragen sind gegen die Hertha. So ist nun bekannt, dass Hertha deutschlandweit der unbeliebteste Bundesligist ist.
Das Traurige an dieser ganzen Tragödie ist jedoch, dass Visionen beim einstigen Champions-League-Starter gänzlich vermisst werden. Einzig eine Entlassung des „unbelehrbaren Egoisten“ könnte neue Kräfte freisetzen. Die Nibelungentreue ist nicht mehr erklärbar, denn zwei Abstiege in drei Jahren ist eine Schreckensbilanz für die Argumente pro Preetz schlichtweg fehlen.
Nun haben also die Mitglieder am 29. Mai das Wort. Verstecken werden die sich bestimmt nicht, denn sie wollen endlich Antworten auf ihre vielen Fragen haben. Eine klare Forderung im ICC am Funkturm wird sein, wie der nach einem Schiff benannte Verein wieder in ruhigere Fahrwässer fahren kann. Zurzeit herrscht nämlich Kentergefahr.


Informationen
Quelle: www.welt.de
Autor: Henning Klefisch
Schlagworte: Hertha BSC Berlin; Rehhagel; Preetz
Datum: 16.05.2012 20:18 Uhr
Url: http://www.2-liga.com/2liga/news-die-„alte-dame“-hertha--arm--unsexy--pflegebedürftig-948.html
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