Hertha BSC: Kraft gibt realistischen Optimismus vor


In der letzten Saison war er einer der absoluten Leistungsträger in einer Berliner Mannschaft, der in der Rückrunde einen massiven, sportlichen Absturz erlebt hat und nun wieder den bitteren Weg in die Zweitklassigkeit antreten muss. Nach der Hinrunde hatte Hertha BSC noch im Tabellenmittelfeld gelegen und lugte sogar in Richtung Europapokal. Bekanntlich kommt der Hochmut vor dem Fall. Im Gespräch mit „Morgenpost Online“ hat sich der ehemalige Keeper des FC Bayern München über die abgelaufene Spielzeit, seine eigene Rolle und die folgende Zweitliga-Saison unterhalten.

Der einstige Champions-League-Teilnehmer und deutsche Spitzenmannschaft Hertha BSC ist zu einer Fahrstuhlmannschaft verkommen. Falsche Transferpolitik und interne Streitigkeiten haben den zweiten Abstieg in den letzten drei Jahren erst möglich gemacht. Über seine persönlich verbrachte freie Zeit urteilt er gegenüber der „Morgenpost“ wie folgt: „So wie sonst war mein Sommer sicher nicht, allein weil sich die Sportgerichtsverhandlungen sehr lange hingezogen haben. Natürlich beschäftigt einen das, auch ich habe öfter darüber nachgedacht, über den Abstieg, die Umstände. Aber trotzdem hatte ich einen schönen Urlaub, ich konnte mich gut erholen und die Energie tanken, um wieder voll anzugreifen.“
Ehrlichkeit ist ohne Frage eine der ausgeprägten Stärken von Kraft. Schon während seiner suboptimal verlaufenen Zeit bei Bayern München hat er stets Selbstkritik geübt. So auch diesmal, als er auf die abgelaufene Saison und speziell auf die miserable Rückrunde mit dem Höhepunkt der Relegationsspiele angesprochen worden ist: „Ich bin immer ehrlich, und wenn du das letzte halbe Jahr betrachtest, dann sind wir vollkommen zu Recht abgestiegen. Was wir teilweise gespielt haben, war einfach nicht bundesligawürdig. Auch sonst war einiges nicht okay. Am Ende ist es in diesem einen Spiel auf die Spitze getrieben worden. Das hat mir nicht gefallen.“
Kritisch merkt er auch an, dass er mit dem, durch das DFB-Sportgericht verhängten Urteil alles andere als zufrieden ist: „Korrekt finde ich das auch nicht, es ist nicht akzeptabel. Aber jetzt sind wir in der Zweiten Liga und müssen uns keine Gedanken mehr darüber machen, sondern uns auf die neue Situation einstellen, darauf, den Weg zurück in die Bundesliga, in die Hertha gehört, zu gehen.“
Viel Negatives musste Kraft in den letzten Jahren verarbeiten. Speziell dieser Abstieg mit Berlin kam für ihn absolut überraschend: „Zu Hertha bin ich gekommen in dem Bewusstsein, dass es ein Aufsteiger ist und dass es schwer wird, die Klasse zu halten. Nach dem ersten halben Jahr hätte ich aber niemals für möglich gehalten, dass wir mit dieser Mannschaft absteigen können. Aber dann ist es doch passiert, schön ist das nicht.“
Über seine persönliche Rolle bei den Berlinern hat er auch eine klare Meinung, denn er sieht sich aufgrund seines Naturells, aber auch seiner Vita als ein Akteur, der vorangehen möchte. Dies hat er auch der „Morgenpost“ verraten: „Sicherlich sehe ich mich als jemanden, der versucht zu führen, der Dinge anspricht, die unangenehm sind. Womit ich nicht gerechnet habe ist, dass ich gleich im ersten Jahr diesen Schritt in diese Rolle so schnell vollziehen würde. Aber ich mache das gern, und ich brauche das auch. Das gehört zu meinem Naturell.“
Er begründet diese Eigenschaft mit einer grundsätzlichen Eigenschaft, die ihn persönlich ein Leben lang stark gemacht hat. Er nennt seinen persönlichen Antrieb: „In meinem Leben muss ich auch Verantwortung übernehmen. Warum also nicht in der Mannschaft? Ich möchte das weiter vorantreiben, weil die Entwicklung der Persönlichkeit, die auf dem Platz steht, damit auch zusammenhängt. Ich helfe und unterstütze gern, auf dem Platz und in der Kabine. In der vergangenen Saison bin ich aber auch schnell in diese Position hineingewachsen, weil nicht so viele da waren, die vornweg marschieren.“
Über die Problembewältigung der Spieler wegen den massiven, teilweise sogar peinlich anmutenden Streitigkeiten innerhalb des Vereins hat er auch einiges zu erzählen.
Kraft beschreibt diesen „hausgemachten Abstieg“: „Es war sicher sehr turbulent, jeder musste sich mehrfach neu orientieren, alles formierte sich neu, es gab immer neue Abläufe. Jeder sucht da nach einer gewissen Stabilität, auch untereinander. Wobei ich trotzdem sagen muss, dass das nie eine Entschuldigung sein darf, wenn es sportlich nicht läuft. Jeder einzelne ist dafür verantwortlich, dass die Mannschaft als Ganzes funktioniert. Aber die Verunsicherung durch die Wechsel war bei uns spürbar. Das hat zum Abstieg beigetragen.“
Ähnlich wie er selbst, ist der neue Trainer Jos Luhukay ein Trainer, der höchst akribisch arbeitet. Kraft hat eine hohe Meinung vom neuen Coach, der aus Augsburg gekommen ist: „Als es hieß, er würde nach Berlin kommen, habe ich mich gefreut, weil jeder sieht, dass er überall sehr gute Arbeit abgeliefert hat. Das bestätigt sich jetzt, wie er und seine Trainer sich geben, wie er mit den einzelnen Spielern umgeht, das ist hervorragend.“
Kraft beschreibt die Elemente, auf die der umtriebige Niederländer großen Wert legt: „Er hat viele Gespräche geführt, auch mit mir. Er sucht diese Gespräche oft, er ist ein kommunikativer Trainer, der eine starke Autorität hat, aber auch eine gewisse Lockerheit. Jos Luhukay besitzt eine klare Linie und folgt seinem Weg.“
Alles andere als die Zielsetzung „Direkter Wiederaufstieg“ kann man gegenüber dem anspruchsvollen Berliner Publikum nicht verkaufen. Dies weiß auch der 23-Jährige, der dennoch auch die vielen Konkurrenten betont, die über einen qualitativ mindestens gleichwertigen Spielerkader wie die Berliner, verfügen. Realistisch merkt er deshalb an: „Direkt wieder aufzusteigen wird sicher schwierig. Das war es bestimmt auch vor zwei Jahren. Ich denke, es werden vier, fünf Mannschaften, die um die ersten drei Plätze spielen. Doch wenn man sieht, wer jetzt bei uns hinzugekommen ist, dann denke ich, dass wir ein Team haben, dessen Ziel es sein muss, aufzusteigen. Das müssen wir auch zeigen und wieder Spiele dominieren.“
Dieser Abstieg hat fast ausschließlich negative Begleiterscheinungen. Eines von wenigen positiven Elementen ist die Tatsache, dass es nun wieder ein Stadtderby gegen Union Berlin gibt, welches Kraft zum ersten Mal als Beteiligter erleben darf. Im letzten Spiel konnte Union durch einen Mattuschka-Treffer im Olympiastadion triumphieren. Der gebürtige Westerwälder erlaubt sich kein Urteil über das Berliner Aufeinandertreffen, teilt jedoch seine Erinnerungen an die Treffen der rivalisierenden Mannschaften in München mit: „In München ist es extrem, da wird man als Spieler auch schon mal darauf angesprochen. Und das nicht immer nett von der anderen Seite. Das gehört dazu und macht ja auch Spaß. Hier habe ich das noch nicht so gesehen.“
Derzeit läuft alles darauf hinaus, dass Kraft das erste Spiel in der neuen Saison im Derby gegen Union Berlin absolvieren wird. Wegen Schiedsrichterbeleidigung wurde er für die ersten drei Ligaspiele und ein DFB-Pokalspiel gesperrt. Sich ändern würde sich der wortgewaltige Kraft jedoch keinesfalls. Dies macht er gegenüber „Morgenpost Online“ deutlich: „Ich sehe keinen Grund, warum eine Sperre, die ich als nicht gerechtfertig betrachte, dazu führen sollte, dass ich mich in irgendeiner Weise ändere oder mir Gedanken machen muss, wie ich mit bestimmten Situationen umgehe. Ich muss diese Sperre akzeptieren. Was ich darüber denke, behalte ich lieber für mich. Ich weiß, wie ich mich verhalte und zu verhalten habe“


Informationen
Quelle: www.morgenpost.de
Autor: Henning Klefisch
Schlagworte: Hertha BSC Berlin; Luhukay; Kraft
Datum: 11.07.2012 20:48 Uhr
Url: http://www.2-liga.com/2liga/news-hertha-bsc--kraft-gibt-realistischen-optimismus-vor-1026.html
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